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Raketen wie am Fließband

Die Rocket Factory Augsburg will mit einer Mini-Rakete die Industrie revolutionieren

Rocket Factory-Gründer Jörn Spurmann und Stefan Brieschenk
Ein Mini-Launcher aus Augsburg soll den Markt der Weltraumforschung erobern.
Die Raketenherstellung vom Präzisionshandwerk zum Fließbandjob machen und damit den Zugang zum Weltraum alltäglich und erschwinglich werden lassen: Ein großes Ziel, dass sich die Rocket Factory gesetzt hat. Das Startup ist aus einer Ausgründung der OHB (Orbitale Hochtechnologie Bremen) entstanden und will bald in Augsburg mit 1.000 Mitarbeitern Raketen fertigen. Wir haben uns mit den Gründern Stefan Brieschenk und Jörn Spurmann über ihr ehrgeiziges Projekt unterhalten.

Wie kam es dazu, dass die OHB-­Familie ein Start-up-Unternehmen gegründet hat?

Das RFA-Team verfolgt das Ziel, die Raketenindustrie zu revolutionieren und Raketen in einer hochindustrialisierten und automatisierten Umgebung herzustellen. Die Raketenherstellung gleicht bis heute noch dem Uhrmacherhandwerk, was für die hohen Startpreise verantwortlich ist. Die Rocket Factory Augsburg möchte das ändern und Raketen wie am Fließband produzieren. Deswegen tragen wir „Factory“ im Namen. Mit der Ausgründung der Rocket Factory plant OHB sich an der gesamten Wertschöpfungskette im „New Space“ zu beteiligen. Als Europas drittgrößter Satellitenhersteller ist die Möglichkeit, den dazu passenden Raketenstart günstiger als die Konkurrenz anbieten zu können, von hohem strategischen Wert. Die OHB-Gruppe hat Erfahrung dabei innerhalb kürzester Zeit ein Unternehmen mit jährlich über 1 Milliarde US-Dollar Umsatz aufzubauen, indem man höhere Qualität zu deutlich günstigeren Preisen als die Konkurrenz anbietet.

Warum genau habt ihr euch für den Standort Augsburg entschieden?

Der Standort Augsburg ist für die OHB-Gruppe ideal, da sich hier schon die OHB-Tochter MT Aerospace befindet, die führend in der Fertigung von Raketenteilen ist. Ein weiterer Grund für den Standort war die industrielle Umgebung in Süddeutschland. Wir planen eine hohe Startkadenz mit über 20 Starts ab dem Jahr 2025. Das bedeutet, dass wir die entsprechenden Produktionskapazitäten dafür schaffen müssen. Wir planen die Trägerraketen mit bis zu 1.000 Mitarbeitern am Standort Augsburg zu fertigen. Der Standort Augsburg bietet für die Serienfertigung der RFA-ONE-Raketen die optimale Umgebung.

 

Wie profitiert die Rocket Factory Augsburg von ihrem Partner MT Aerospace AG?

MT Aerospace bietet eine einzigartige Testinfrastruktur für Raketenstrukturen und ist nur 15 Minuten entfernt. MT Aerospace ist seit Jahrzehnten einer der größten Zulieferer für die Ariane-Trägerrakete und somit Experte in der Entwicklung und Fertigung von Strukturbauteilen für Raketen. Beim anstehenden Übergang in die Serienproduktion sehen wir die größten Synergieeffekte.

 

Was ist für die Zukunft geplant, abgesehen von dem Mini-Launcher?

In erster Linie geht es darum, den RFA ONE Mini-Launcher zu entwickeln und erfolgreich am Markt zu etablieren. Mit dem ersten Start ist die Entwicklung des Launchers aber keinesfalls abgeschlossen. Ähnlich wie in der Softwareindustrie bringen wir ein Produkt auf den Markt, welches dann von Flug zu Flug weiterentwickelt und die Nutzlastleistung von zunächst 500 Kilogramm auf über einer Tonne skaliert wird. Als Nächstes möchten wir der Marktführer in Europa werden, dann zu einem der führenden Raumfahrtunternehmen auf der Welt aufsteigen. Der über-über-nächste Schritt sind bemannte Missionen und die Erforschung des Universums.

 

Welches Ziel verfolgt ihr?

Das Ziel ist es, den Markt für Trägerraketen zu revolutionieren, um den Zugang zum Weltraum zu demokratisieren. Günstige Startpreise werden mehr und mehr Missionen ermöglichen. Aktuell ist der Zugang zum Weltraum beschränkt auf staatliche Raumfahrtprogramme sowie wenige kommerzielle Raumfahrtunternehmen. Die aktuellen Startangebote reichen schlichtweg nicht aus, da sie zu selten und dadurch auch zu teuer sind. Nur wenn der Zugang zum Weltraum etwas Alltägliches und Erschwingliches wird, können verschiedenste Anwendungen entwickelt und angeboten werden. 

Ein konstanter Datenstrom aus dem All kann es uns ermöglichen, datenbasierte Fakten und Erkenntnisse über unseren Planeten zu sammeln und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es wird heute bereits an Satelliten geforscht, die das Ausbringen von Pestiziden auf Feldern und die Verklappung von Schweröl auf hoher See überwachen können. Die Auswirkungen des Klimawandels lassen sich nur vom Weltall erfassen, um komplexe Zusammenhänge auf der Erde zu verstehen. Ein permanenter Livestream des Planeten, ähnlich wie eine Live-Version von Google Earth, ist nicht nur für Versicherungen und Sicherheitsbehörden interessant.

 

Was sind die Komponenten der Rakete? Was macht sie so einzigartig?

Unsere Trägerrakete RFA ONE besteht aus zwei Stufen sowie einer Orbitalstufe. Diese Orbitalstufe ermöglicht es uns die Satelliten flexibel, z. B. durch Inklinationsänderungen, im Orbit zu verteilen. Eine vergleichbare Technologie, mit einer kompetitiven Nutzlast von über 1.000 Kilogramm, existiert aktuell nicht auf dem Markt. Die Nachfrage nach flexiblen In-Orbit-Transport ist immens, daher ist unsere Orbital-Stufe so konzipiert, dass sie auch auf großen Trägerrakten, wie der Falcon-9 von SpaceX oder der Ariane 6, als sogenanntes „Orbital Transfer Vehicle“ eingesetzt werden kann.

Außerdem führen wir mit den Haupttriebwerken der RFA ONE die Technologie der gestuften Verbrennung in Europa ein. Dabei handelt es sich um die effizientesten Raketentriebwerke, die je entwickelt wurden. Kein anderes Triebwerk kann mehr Schub aus einer gegebenen Menge Treibstoff produzieren. Der Triebwerksaufbau ist zwar sehr komplex, aber es arbeiten führende Experten aus der ganzen Welt daran.

Generell fahren wir einen „Low-Cost“-Ansatz, das heißt, wir greifen auf verfügbare Komponenten aus anderen Industrien zurück und optimieren sie für unsere Rakete. Dieser Prozess spart viel Zeit und Geld, da wir nicht auf flugqualifizierte Komponenten angewiesen sind oder einzelne Subsysteme selber entwickeln müssen.

 

Warum verwendet die Rocket Factory Augsburg 3-D-Druck?

3-D-Druck ermöglicht uns komplexe Bauteile, die in herkömmlicher Produktionsweise aufwendig geschweißt werden müssten, in kurzer Zeit automatisiert zu fertigen. Änderungen am Design können sofort umgesetzt, das Bauteil gedruckt und getestet werden. Das ermöglicht schnelle Entwicklungszyklen und spart Zeit. Die Aufskalierung für die anstehende Serienproduktion ist unkompliziert, da der 3-D-Druck bei gleichbleibenden Parametern auch gleichbleibende Ergebnisse liefert. Um die Kapazität zu erhöhen, müssen lediglich mehr Drucker in Betrieb genommen werden. Der Nachteil des metallischen 3-D-Drucks sind die vergleichsweise hohen Kosten. Für weniger komplexe Bauteile greifen wir auf traditionelle Fertigungsweisen zurück.

 

Es gab Überlegungen, einen Startplatz zu bauen. Gibt es da schon irgendwelche Updates?

2018 begann die RFA eine Studie, um einen möglichen Startplatz von deutschem Hoheitsgebiet zu untersuchen. Die Studie resultierte in einer schwimmenden Startplattform in der ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee. Dieser Ansatz fand in den Medien und der Bevölkerung Anklang. Deutschland ist eine der wenigen führenden Industrienationen ohne eigenen Zugang in den Weltraum. Die Politik diskutiert zur Zeit die mögliche Umsetzung und Finanzierung, bislang ohne Updates. Des Weiteren haben wir mit Andoya Space in Norwegen und CNES in Kourou Verträge geschlossen, um dort von deren Startplätzen starten zu können. Dies ermöglicht uns schon jetzt alle Orbits und Inklinationen bedienen zu können. Auch ein eigener Startplatz auf den Azoren ist weiterhin eine Überlegung. Wir sind eines von drei verbliebenen Bieterkonsortien und geben im Januar unser Konzept für die Implementierung und den Betrieb des Spaceports bei den portugiesischen Behörden ab. Mit einem eigenen Startplatz können wir die gesamte Wertschöpfungskette abdecken und flexibler agieren.

 

Gab es irgendwelche Rückschläge?

Die Rocket Factory ist ein sehr agiles Unternehmen. Wir gehen an Projekte mit dem Wissen ran, dass sich Dinge im Laufe des Projekts ändern können. Unser Ansatz lautet „fail fast and cheap“, sprich wir versenken nicht Unsummen an Geld, um ein Projekt irgendwie am Leben zu halten, sondern beenden es in einem frühen Stadium, wenn wir keine Lösung finden, und versuchen es mit einem neuen Ansatz. Auf diese Art verhindern wir größere Rückschläge. Bisher ist trotz der aktuellen Covid-19-Pandemie alles gut gelaufen. Einige Meilensteine, wie z. B. die Entwicklung und Qualifizierung unseres Oberstufentanks, konnten schon vor dem geplanten Termin erreicht werden. Unser motiviertes Team arbeitet mit vollem Einsatz daran, dass die Rakete 2022 startet.

 

Ende 2021 wollt ihr den Erststart durchführen. Wohin soll es gehen?

Der Jungfernflug der RFA ONE 2022 geht in eine sonnensynchrone Umlaufbahn in einer Höhe von 500 Kilometern. Für den ersten Start haben sich bereits Kunden angemeldet und wir arbeiten gemeinsam an dem Missionskonzept.

 

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Foto: Rocket Factory Augsburg, Die Gründer Stefan Brieschenk (l.) und Jörn Spurmann

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