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Kaffeepause mit …

Daniel Kehne, Mitgründer und Projektkoordinator Integreat

Daniel Kehne bei der Demonstration seiner App Integreat
Daniel Kehne bei der Demonstration seiner App Integreat
Integreat ist eine App, die Zugezogenen dabei helfen soll, schnell und einfach an lokale Informationen zu kommen. Ursprünglich sollte aus der Idee gar kein Startup werden, heute arbeitet Daniel Kehne seit sechs Jahren für Integreat.

Wie trinkst du deinen Kaffee?

Der Qualität des Kaffees während meines Studiums geschuldet, habe ich mir leider den Extraschuss (Hafer-)Milch angewöhnt. Da ich seit Weihnachten eine kleine Siebträgermaschine zuhause habe, bin ich aber auf dem guten Wege zurück zum schwarzen Kaffee.

Wer oder was inspiriert dich?

Ich bin großer Fan von Menschen, die unternehmerische und gesellschaftliche Herausforderungen unter einen Hut bringen. Da fallen mir gleich unzählige Beispiele ein, daher ist es schwer einzelne Personen oder Unternehmen rauszupicken. Gerade zu meiner Gründerzeit habe ich viel Wirtschaftsliteratur gelesen und darin Inspirationen für eigene Methoden und Vorgehensweisen gefunden. Immer auch mit Phasen der Selbstreflexion, um Modelle nicht einfach zu anzuwenden, sondern zu überlegen, wie man sie vielleicht auch besser nutzen kann.

Wo setzt du noch auf analoge Technik?

Notizen in Terminen oder während Videokonferenzen mache ich tatsächlich immer noch handschriftlich auf Post-Its oder in einem Notizbuch. Allerdings habe ich mir vor kurzen auch ein Remarkable-Tablet gekauft und werde das jetzt  in den nächsten Tagen und Wochen mal einem persönlichen Praxistext unterziehen. Und bei der Kaffeezubereitung bin ich quasi mit dem Wechsel von Vollautomaten zur Siebträgermaschine ja auch wieder in die analoge Welt zurückgekehrt.

Was genau macht Integreat? Welche Informationen bekommt man und woher kommen diese?

Integreat ist im Jahr 2015 entstanden als viele Menschen aus Kriegsregionen wie Syrien und Afghanistan nach Europa und Deutschland geflüchtet sind. Die App ist auf fremdsprachige Nutzer ausgerichtet und hilft die Angebote, Freizeitmöglichkeiten und bürokratische Regularien in einer Stadt zu überblicken. Mittlerweile hat sich Integreat zu einem Werkzeug für Menschen mit Deutsch als Zweitsprache entwickelt. Städte und Landkreise können die App mit ihren eigenen Informationen befüllen, um beispielsweise Fachkräfte oder zugezogene Mitbürgerinnen und Mitbürger zu informieren. Gerade jetzt während der Pandemie war es für viele Verwaltungen und Behörden das zentrale Instrument, um über Corona-Einschränkungen und Impfangebote in verschiedenen Sprachen gleichzeitig zu informieren.

Ihr stellt den Code eurer Anwendung frei zur Verfügung. Wieso? Und warum kommen Kund:innen trotzdem noch auf euch zu, statt sich die Lösung einfach selbst einzurichten?

Das hat zum einen ideelle, aber auch praktische Gründe. Wir glauben an den Grundsatz von „Public Money, Public Code“ der Free Software Foundation. Wenn es nach uns geht, sollte freie Software der Standard in der öffentlichen Verwaltung sein. Wenn Software von öffentlichen Steuergeldern bezahlt wird, sollte sie danach allen Bürgerinnen und Bürgern gehören.

Aus praktischer Sicht können wir so viel einfacher mit Kooperationspartnern zusammenarbeiten, da alles öffentlich dokumentiert ist. Warum nicht-öffentlicher Code (Closed Source-Software) auch eine Innovationsbremse sein kann, haben wir im vergangenen Jahr wieder gemerkt, als wir eine Schnittstelle zu einem Online-Beratungsangebot aufbauen wollten. Das dortige Projektteam kannte sich mit technischen Details ihrer eigenen, extern entwickelten Software wenig aus, gleichzeitig konnten wir aber auch keinen Lösungsvorschlag unterbreiten, da wir keine Einsicht in deren Code erhalten haben. Die Zusammenarbeit ist gescheitert, obwohl sie für beide Projekte positive Effekte gehabt hätte.

Auch wenn Integreat herstellerunabhängig und ohne uns betrieben und aufgesetzt werden kann, entscheiden sich neue Partner in der Regel für ein Kooperationsmodell. Das liegt darin begründet, dass wir das Projekt auch persönlich begleiten und die Kosten für ein Software- und Supportpaket vergleichsweise gering sind.

Es war ja ursprünglich gar nicht gedacht, dass aus Integreat tatsächlich eine Gründung wird. Wie ist es dann doch passiert?

Vor allem aus Gründen der Planungssicherheit und Nachhaltigkeit. Ein halbes Jahr nachdem wir die App (kostenfrei) im November 2015 erstmalig für die Stadt Augsburg produktiv geschaltet haben, wollte eine andere Großstadt in Bayern eine hauptamtliche Stelle mit der Pflege der Integreat-App betreuen. Dazu wollte die Stadt wiederum Planungssicherheit in Form eines Kooperationsvertrags, der zusichert, dass wir die Software für einen bestimmten Zeitraum weiterentwickeln und betreuen. Wir haben dann mit der Stadt zusammen einen Vertrag ausgearbeitet und den tatsächlich auch als Blaupause im Verlauf der letzten sechs Jahre weiteren Städten angeboten.

Mittlerweile stehen wir bei 75 laufenden Verträgen und verzeichnen weiterhin ein konstantes Wachstum. Da es immer zwei Vertragsparteien braucht, haben wir im Juni 2016 eine gemeinnützige GmbH gegründet. Mittlerweile haben wir knapp 30 Angestellte, die aus den Einnahmen finanziert werden.

Was sind Herausforderungen, vor denen ihr mit Integreat gestanden seid, mit denen ihr vorher nicht gerechnet hättet?

Wir haben uns Anfangs zu wenig mit den verschiedenen Zielgruppen beschäftigt. Zwar war es hilfreich für uns, dass wir mehrere Tage die Woche in einem Integrations-Café gearbeitet und von dort aus entwickelt haben, um die migrantischen Zielgruppen besser zu verstehen – allerdings haben wir andere Zielgruppen dabei aus den Augen verloren. Wir haben beispielsweise die iOS-Entwicklung als nicht so wichtig angesehen, bis wir dann feststellen mussten, dass es quasi keine Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister gibt, der oder die kein iPhone hat.

Außerdem haben wir uns in der Anfangszeit sicherlich auch politisch zu stark einspannen lassen. Wir waren mal auf Einladung einer politischen Partei im bayerischen Landtag und haben Integreat dort vor Kommunalpolitikerinnen und -politikern präsentiert. Die Konsequenz war, dass danach in einigen Stadträten im Freistaat entsprechende Anträge für die Einführung von Integreat gestellt wurden. Eigentlich ja positiv. Allerdings wurden diese Anträge in den meisten Stadträten aus der Opposition heraus gestellt. Es folgten viele kategorische Ablehnungen und bis heute schaffen wir es nicht,  an diesen Standorten einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Magst du deinen Job? Stellst du dir manchmal vor, wie es wäre, ganz einfach irgendwo angestellt zu sein?

Ich liebe meinen Job, aber verfluche manchmal, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Gar nicht, weil ich in Arbeit versinke, sondern weil ich in vielen Unternehmen und Organisation so viel Potenzial für strukturelle Prozessverbesserungen, agile Mitarbeiterführung und digitale Projekte sehe.

Spannend fände ich es in einem Bundesliga-Verein, einem Sportverband oder in der Politik zu arbeiten. Überall dort wo finanzielle Kennzahlen am Ende des Tages nicht die allein Entscheidungshoheit haben, ergeben sich Räume für nicht-monetäre Anreizsysteme und auf Ziele ausgerichtete Managementmodelle.

Wenn du die Möglichkeit hättest, das nächste große Cover einer weltweit aufgelegten Zeitschrift zu entwerfen, was würdest du drauf machen?

Eine Flasche Club Mate! Es wird Zeit, dass es Mate-Eistee auch weltweit in die Regale schafft und den großen Brausekonzernen mal ein wenig Marktanteil abgenommen wird. Ansonsten würde ich die Frage – basierend auf den gerade geschilderten Erfahrungen – natürlich abhängig von der Zielgruppe der Zeitschrift beantworten

 

Noch mehr Menschen mit innovativen Ideen in der Kaffeepause

Lea Frank, Gründerin und CEO anybill – Rocketeer
Marion Höreth, CEO und Co-Founder qtway – Rocketeer
Dalal Mahra, Founder und CEO Kopftuchmädchen – Rocketeer

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