Kaffeepause mit …
Dr. Paul Sörensen, Projektleitung izbd²
Wie trinkst du deinen Kaffee?
Meistens sehr müde… (schmunzelt). Zumindest bei mir zuhause ist in der Tasse dann ein Espresso namens Durito. Die Bohnen stammen aus selbstverwalteten, kleinbäuerlichen Kooperativen in Mexiko und Kolumbien, die ich über den Vertrieb Café Libertad in Hamburg beziehe. Café Libertad hat sich dem solidarischen Handel verschrieben, was ich auch aus beruflicher Perspektive sehr interessant finde. Sofern vorhanden, kommt ein Schuss Milch hinein, Zucker niemals.
Wer oder was inspiriert dich?
Das lässt sich nicht so eindeutig sagen. Ich bin ein sehr lesezentrierter Mensch, deshalb sind es meistens Texte und Bücher, die mich zum Weiterdenken oder Widerspruch anregen.
Hast du eine Buch- oder Podcast Empfehlung für uns?
Im Zweifelsfall viel zu viele, aber mit gewissen Bauchschmerzen kann ich eine kleine aktuelle Auswahl treffen. Im Bereich der Belletristik empfehle ich unbedingt „Aufruhr“ von Michael Scharang. Eher in meine berufliche Richtung gehend, fand ich die von Isabelle Ferreras, Julie Battilana und Dominique Méda herausgegebene Sammlung „Democratize Work. The Case for Reorganizing the Economy“ sehr lesenswert. Und wenn die Zeit bleibt, höre ich in „Democratize Work! Der Podcast zu Demokratie und Arbeit“ rein, der vom Forum Neue Politik der Arbeit e.V. und der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt in der ZEWK der TU Berlin gemacht wird. Aber eigentlich bin ich eher nicht so der Podcast-Typ…
Du bist Projektleitung beim Innovationszentrum Bayern für Diversity und Demokratie (izbd²). Auch davor hast du dich sowohl beruflich als auch ehrenamtlich viel mit Demokratie und Inklusion beschäftigt. Was war für dich ausschlaggebend bei deiner Berufswahl?
Also, bei der Tür an Tür Integrationsprojekte gGmbH – das ist der Träger des izbd² – wollte ich eigentlich schon immer mal arbeiten… Aber von vorn: Ich interessiere mich schon lange sehr grundsätzlich für Politik und habe auch schon sehr früh damit begonnen, mich in der außerschulischen politischen Bildung zu engagieren. Nachdem ich das in den letzten Jahren überwiegend ehrenamtlich gemacht habe und mein Broterwerb eine Tätigkeit als Politikwissenschaftler an den Universitäten in Augsburg und Wien war, habe ich das Verhältnis jetzt einfach mal umkehren wollen. Politische Erwachsenenbildung als Haupterwerb, Wissenschaft in der Freizeit. Die Stellenausschreibung für die izbd²-Projektleitung von Tür an Tür kam da gerade recht.
Und ich muss schon auch sagen, dass Tür an Tür ein spannender Arbeitsort ist. Nicht zuletzt wird dort eine interessante Form der Mitarbeiter:innenbeteiligung in Entscheidungsprozessen praktiziert. Man kann da also in Ansätzen miterleben, was es heißt, in einem demokratischen und pluralistischen Unternehmen zu arbeiten.
Und darum geht es im izbd² letztlich ja auch ganz zentral: die Frage, wie eine demokratische, diskriminierungssensible und diversitätsorientierte Wirtschaftswelt aussehen und gestaltet werden kann. Ein starker Pull-Faktor für meine jetzige Berufswahl ist aber auch das izbd²-Team gewesen. Menschlich und fachlich ist das wirklich überragend. Es kommt sehr viel Expertise und Erfahrung aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen. Ich glaube, wir sind das, wovon an vielen Unis nur in Anträgen die Rede ist: transdisziplinär.
Das izbd² „entwickelt, vermittelt und bietet Konzepte zur politischen Bildung im Schnittfeld von Demokratiepädagogik und diskriminierungskritischen Diversitätskonzepten“ – Was genau heißt das denn ganz praktisch gesprochen? Wie sieht deine tägliche Arbeit aus?
Unser Angebot unterscheidet sich je nach Zielgruppe. Und wir adressieren recht verschiedene Zielgruppen: neben Unternehmensführungen und Belegschaften von kleinen und mittelständischen Unternehmen sind das Lehrkräfte an beruflichen Schulen und natürlich auch die Berufsschüler:innen und Auszubildende. Außerdem haben wir etwas für betriebliche Mitbestimmungsgremien im Gepäck und für Multiplikator:innen im Bereich der politischen Bildung, die unseren Ansatz kennenlernen wollen.
Die Angebotspalette reicht von Schulungen zu demokratischer Vielfaltsgestaltung im Betrieb und Fortbildungen zum Umgang mit Rechtsradikalismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit über Schulprojekttagen bis hin zur Einzelberatung von KMUs in Sachen betrieblicher Demokratiekompetenz und kritische Diversity. Außerdem bauen wir gerade ein Online-Portal auf, in dem wir Angebote aus all diesen Bereichen aus ganz Bayern sammeln und zugänglich machen werden.
Je nachdem, was gerade ansteht oder wo es brennt, sieht dann auch mein Arbeitstag ganz unterschiedlich aus. Mal machen wir gemeinsam interne Konzeptarbeit, erarbeiten Schulungsmaterialien oder basteln an unserem Online-Portal herum, mal sind wir allein oder zu zweit für einen Projekttag an einer Berufsschule oder vielleicht für einen Austausch in der oberpfälzischen IHK.
Was sind deiner Meinung nach Anzeichen, dass ein Unternehmen einen eurer Kurse oder Workshops gebrauchen kann? Und wie genau kann man mit euch Kontakt aufnehmen, wenn der Bedarf da ist?
Die Kontaktaufnahme ist dabei das Einfachste: eine:n von uns erreicht man immer per Mail unter izbd2-augsburg@tuerantuer.de. Je nachdem, wie der Arbeitstag aussieht, kann man uns aber auch telefonisch im Büro erreichen.
Die erste Frage ist komplizierter. Das Wichtigste vorweg: wenn es klare Anzeichen gibt – beispielsweise Erfolge von rechtsradikalen Betriebsratslisten, sexistische Schmierereien auf der Toilette oder Übergriffe auf der Unternehmensfeier, rassistisch motivierte (Nicht-)Einstellungspraktiken – dann ist das Kind fürs erste schon in den Brunnen gefallen. Wir können auch in solchen Fällen Unterstützung leisten, aber grundsätzlich möchten wir gerne schon früher ansetzen. Weniger als Feuerwehr löschen, sondern für Verhältnisse sorgen, dass Brände erst gar nicht ausbrechen. Oder zumindest nicht so oft.
Warum ist ein demokratisches Miteinander in Betrieben überhaupt so wichtig?
Ja, das ist ein guter Punkt. Und so könnte man die erste Frage von gerade eben vielleicht umformulieren. Man könnte fragen, warum eine Unternehmerin unsere izbd²-Angebote gebrauchen könnte, die ja genau darauf – ein demokratisches Miteinander im Betrieb – zielen.
Als leidenschaftlich demokratischer Bürger würde ich ganz generell sagen, dass einer demokratischen Gesellschaft Unternehmen gut zu Gesicht stehen würden, in denen eine demokratische, diversitätsorientierte und diskriminierungssensible Kultur herrscht. Aus der wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Forschung gibt es zudem den interessanten Befund, dass demokratische Gepflogenheiten in der Arbeitswelt auch entsprechende demokratiepolitische Effekte auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zeitigen. Das hängt also sehr stark zusammen, deshalb sprechen wir auch von einem „spill-over-Effekt“. Jedes Unternehmen, dass ein Interesse an unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat, hat somit quasi automatisch auch ein Interesse an einer vielfältigen, diskriminierungssensiblen und demokratischen Verfasstheit des Betriebs.
Aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive würde ich sagen, dass es sich ein Unternehmer schlichtweg gar nicht mehr leisten kann, nicht über Demokratie und kritische Vielfaltsgestaltung im Betrieb nachzudenken. Stichworte dabei sind Fachkräftegewinnung und -sicherung.
Viele Unternehmen in zahlreichen Branchen haben bekanntlich mit einem gravierenden Fachkräftemangel zu kämpfen. Dabei spielt der demographische Wandel eine Rolle, aber natürlich auch die prekären Arbeitsbedingungen, die mitunter schlechte Entlohnung und fehlende gesellschaftliche Wertschätzung. Da müsste man auf alle Fälle ran.
Aber es möchte auch niemand in einem Betrieb arbeiten, wo er oder sie Diskriminierung erfährt. Da sind wir dann im Aufgabenbereich einer kritischen Diversity. Und nicht zuletzt – das wird jüngst ja häufig auch unter dem Schlagwort Quiet Quitting debattiert – spielen Sinnhaftigkeit und Selbstbestimmung eine zentrale Rolle bei der Arbeitsplatzzufriedenheit. Ausgeprägte Mitsprachemöglichkeiten in betrieblichen Belangen sind dabei nachweislich sehr wichtig. Damit wären wir dann bei Fragen einer demokratischen Betriebskultur… und beides zusammen kann die Attraktivität eines Unternehmens enorm erhöhen. Eine ›Investition‹ in betriebliche Demokratie und kritische Diversity zahlt sich insofern ziemlich sicher aus.
Letztlich und ganz profan: unsere Angebote sind dank der Finanzierung durch öffentliche Gelder kostenfrei. Im schlimmsten Fall bekommt man die Katze im Sack also geschenkt (lacht). Aber ich kann versichern: wir haben keine Katzen im Angebot.
Was ist ein Irrglaube über Diversität, den du viel zu oft hörst?
Hmmm, da gibt es viele… (schmunzelt). Aber das sehen andere sicherlich ganz genauso mit Blick auf manch eine meiner Annahmen im Kontext Diversität. Und das zu Recht, denn ich habe die Wahrheit ja auch nicht gepachtet. Genau davon lebt letztendlich ja auch der demokratische Meinungsstreit.
Aber zur Sache selbst: Ich glaube vor allem, dass wir von dem Gedanken wegkommen müssen, Diversität als einen erst noch zu erreichenden Zustand zu begreifen. Oder etwas, das per se abzufeiern wäre. Soziologisch gesprochen: moderne Gesellschaften sind immer schon divers gewesen. Es ändert sich vielleicht der Grad der gesellschaftlichen Heterogenität, aber es ist nichts, was wir ›technisch‹ herstellen müssten. Entscheidend ist dann vielmehr, wie wir mit den Diskriminierungen umgehen, die faktisch an einige der – mitunter zugeschriebenen – gruppenspezifischen Eigenheiten gekoppelt sind. Wir bei Tür an Tür und im izbd² – aber natürlich auch einige andere Akteure – sprechen deshalb von kritischer Diversity und einer diskriminierungssensiblen Diversitätsorientierung.
Das weitergedacht, sollte man überlegen, ob die bei der für viele Diversity-Trainings leitenden Annahme, dass es sich bei Rassismus, Sexismus oder bspw. Ableismus wirklich (nur) um falsche Vorurteile handelt, wirklich zutrifft. Oder ob sie nicht vielleicht auch eine gesellschaftliche Funktion erfüllen. Träfe Letzteres zu, müsste man politisch an diese Funktionserfordernisse ran, und nicht nur an die einzelnen Individuen.
Wenn du die Möglichkeit hättest, das nächste große Cover einer weltweit aufgelegten Zeitschrift zu entwerfen, was würdest du drauf machen?
Puuh, verlockend, aber auch herausfordernd… das müsste ich jetzt erst noch mit meinem Team besprechen. Verschiedene Perspektiven sind bei so weitreichenden Entscheidungen ja immer förderlich. Und wir versuchen grundsätzlich, alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam im Konsens zu treffen, oder zumindest für alle tragbare Kompromisse zu schmieden. Wenn man mich allein machen ließe, wären am Ende sonst vielleicht der Tiger und der Bär von Janosch auf dem Cover.