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Mentale Gesundheit

Erfolgsjunkie? Nein, Danke!

Wie fühlt es sich an, einen steilen Geschäftsweg hinzulegen und gleichzeitig die Kontrolle über seine Gesundheit und sein Leben zu verlieren? Der Augsburger Alexander Durz erlebte dies als Gründer. Heute teilt er seine Erfahrungen, um Mitmenschen zu sensibilisieren.

Zu oft wird im Alltag das Wort „Junkie“ völlig unbewusst und spaßig genutzt, um die ­Leidenschaft für etwas auszudrücken. ­Serien, Süßkram, Yoga, Videospiele, whatever. Die Schattenseite des Begriffs impliziert den Missbrauch von Drogen, Alkohol oder ähnlichen bewusstseinsverändernden Mitteln. Für Alex Durz war es nochmal etwas anderes: Er bezeichnet sich als „Erfolgsjunkie“. Das Streben nach beruflicher Verwirklichung und finanzieller Genugtuung war ein Rausch, der ihn allerdings ans Limit seiner mentalen und körperlichen Grenzen brachte.

Der 46-jährige Neusäßer verantwortet heute bei einem Augsburger Beratungsunternehmen den ­Bereich Sales und Marketing. 1999 aber machte er sich als Gründer mit einem E-Commerce-Unternehmen selbstständig. Mit der Idee, eine Auktionsplattform für Fahrräder anzubieten, habe er von Anfang an unternehmerisch bei der „Tour de France“ statt nur den „Amateurrennen“ mitfahren wollen. Als Europas größter Fahrradimporteur mit Sitz in Augsburg Konkurs ging, sah er die Chance „ganz vorne mitzuspielen“. Mit der Aussicht auf massig Ware wähnte er sich auf der Überholspur. „Geblendet vom Erfolg habe ich mich nie damit auseinandergesetzt, was überhaupt zur ­Insolvenz geführt hatte“, ­erzählt er.

Geld floss unkontrolliert in IT, Marketing, Personal, Anlagegüter und Ware. Auf dem Papier sei aber alles meist gut gelaufen. Durz machte sich in der Branche einen Namen. „Es ging immer nur aufwärts“, so der dreifache Familienvater. Prozesse, Gewinn und nachhaltiges Wachstum waren stets dem Umsatz untergeordnet. Ein riesiger Waren­bestand und rund 50 Mitarbeitende sorgten für ordentlichen Betrieb.

Höhe vor dem Fall

Auch ein lukratives Angebot von Amazon flatterte herein, um seine Waren über den Handelsriesen zu vertreiben. Für den Unternehmer war die Entscheidung mit Aussicht auf weiteres Wachstum sofort klar. Während die Umsätze im hauseigenen Shop daraufhin stagnierten, explodierten die ­Verkaufszahlen über Amazon. Doch das Kartenhaus begann einzustürzen, als Mitarbeiter:innen, ­Banken und das Finanzamt aufgrund von immensen Ausgaben zunehmend Druck aufbauten.

Für Alex zu viel: Im März 2016 führten ihn ­Gedanken über einen Suizidversuch ins Krankenhaus. Der unternehmerische Absturz wurde zum Wendepunkt. Neun Verfahren, zwei Hausdurchsuchungen und eine Verurteilung später ist er überzeugt: „Aus ­jeder Krise gibt es einen Weg. Und wer sich helfen lässt, findet Hilfe“, sagt er rückblickend.

Einen beratenden Menschen finden

Chronische Nackenschmerzen, unerklärliche Aussetzer des Gedächtnisses, Übelkeit und Erbrechen zu Beginn der Arbeitstage – Warnsignale waren da, doch Alex Durz wusste oder wollte sie nicht einordnen: „Ich ging zu Ärzten, lies mich in der Neurologie-Station des Uniklinikums durch­checken, doch sie fanden nichts.“ Die Überlastung wurde wegignoriert, denn als Chef und Unternehmer wollte er alles selbst regeln und managen.

Seiner Frau oder dem nahen Umfeld eröffnete er seine psychische Situation nicht: „Dabei ist das Wichtigste, es jemandem zu ­sagen! Ich rate immer dazu, sich einen beratenden Menschen zu suchen, der den Blickwinkel verändert und die unangenehmen Schritte mit einem geht“, legt der Augsburger ans Herz. „Alleine wird man die Lösung nämlich nie finden. Gesteht man sich dies ein, startet ab diesem Moment der Weg der Besserung!“

Den Heilungsprozess durchlief er dank eines neunwöchigen Krankenhausaufenthalts. Heute ist Alex Durz im Reinen mit sich und fitter denn je – körperlich als auch mental: „Ich habe Antennen für solche Probleme entwickelt. Deswegen ­spreche ich Unternehmer:innen aus meinem Umfeld auch offen darauf an, wenn ich das Gefühl habe, es entwickelt sich bei ihnen in eine kritische ­Richtung. Aber nicht, weil ich den ‚Superversteher‘ raus­hängen lassen will. Sondern weil ich das beste ­Beispiel dafür bin, dass das Teilen der eigenen ­Geschichte einerseits Selbsttherapie ist und ­andererseits einen entscheidenden ‚Klick‘ bei dem Menschen gegenüber auslösen kann.“

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