Start-up-Hochburg Israel
Vom Scheitern und Chancen
Charme Rykower zögert nicht, den Finger in die Wunde zu legen: „Wissen Sie, was Deutschland und Israel fundamental unterscheidet, ist unsere Kultur des Scheiterns.“ Hier, sagt die Senior-Managerin der Israelisch-Deutschen Handelskammer in Tel Aviv, gilt Fehlermachen als Anhäufen von Erfahrungsschatz. Misserfolge ermutigen, statt zu entmutigen. Eine Kultur, die Start-ups beim Gründen mehr als entgegenkommt. „Gescheiterte Existenzgründer, die einen neuen Versuch wagen, erhalten oftmals eher Risikokapital als komplette Newcomer.“
Ein Gedanke, an den sich das traditionelle deutsche Wirtschaftsleben gewöhnen muss. Obwohl Fehlerkultur auch in Deutschland in der Digitalwirtschaft nicht unbekannt ist. Etwa dank der Design-Thinking-Methode zur Produktentwicklung. Hier gilt: Scheitern ist eine Chance. Gerade das frühzeitige Erkennen von Fehlern, die zu begehen explizit erlaubt sind, kann am Ende hohe Entwicklungskosten sparen. In puncto Innovation ein Umdenken, das sich lohnt.
Start-ups aus dem Silicon Wadi in Israel
In Israel, besonders im sogenannten Silicon Wadi bei Tel Aviv, brummt das Gründertum. Gerade im digitalen Bereich. Seit rund 15 Jahren hat sich in dem kleinen Land eine Szene von rund 8.000 Start-ups entwickelt. Egal ob in den Bereichen 3-D-Architektur, Mobilität, Cybersecurity, Big Data, Industrie 4.0 oder Medizin. Ergebnisse sind zum Teil wegweisende Produkte, etwa das Echtzeit-Navigationssystem Waze, inzwischen Bestandteil von Google Maps. Oder die Systeme für Fahrassistenz und autonomes Fahren des fast schon legendären Start-ups Mobileye, heute Teil des Chip-Konzerns Intel. Die Technologie-Vorreiter prägen die israelische Wirtschaft. „Im Verhältnis zur Einwohnerzahl besitzt Israel die meisten Start-ups in der Welt“, weiß Rykower. Anders ausgedrückt: global die zweithöchste Existenzgründerquote pro Kopf.
Risikobereitschaft beim Gründen
Was macht den Start-up-Erfolg des Landes Israel aus? Unbestritten die Risikobereitschaft, eine in der DNA des Landes angelegte Eigenschaft, sagt Rykower. Die Menschen sind geprägt von mehr als 70 Jahren tatsächlichem oder latentem Kriegszustand. Das Verhältnis zu Wachsamkeit und Risiko ist von Kindesbeinen an ein ganz anderes als etwa in Europa. Weshalb, und sie schlägt den Bogen zur Wirtschaft, Risikokapital selbstverständlicher ist.
Hinzu komme laut Rykower die Rolle des Militärs, ein zentraler Innovationstreiber im Land und in der Gesellschaft tief verwurzelt. Für die Jugend – Männer müssen drei Jahre, Frauen zwei Jahre obligatorischen Wehrdienst leisten – bedeutet das die Chance auf eine exzellente Ausbildung. Besonders im technologisch-digitalen Bereich. „So mancher Algorithmus, der während der Armeezeit erlernt oder programmiert wird, wird später zur Basis für ein Start-up, siehe Mobileye“, sagt Rykower.
Chuzpe eben in Israel!
Als weitere Gründe für den Gründerboom nennt Rykower die Einwanderungswelle gut ausgebildeter russischer Juden nach der Wende in den 90ern, die Ressourcenarmut des Landes und den Mangel an großen Industrien sowie das deshalb erfolgte staatliche Engagement in puncto Venture-Kapital ab Mitte der 90er. Um dann wieder zum typischen israelischen Spirit zurückzukehren: „Wir sind Macher, Unternehmer und gleichzeitig ein überschaubar kleines Land. Wir kennen uns, pflegen flache Hierarchien und entscheiden gemeinsam und deshalb selbstbewusst.“ Letztlich, resümiert Rykower, bauen die Menschen auf den typisch israelischen Charakter, jene unvergleichliche Mischung aus Frechheit, Courage und Wagemut – Chuzpe eben.
Einstellung verändern
Wie können deutsche Start-ups davon profitieren? Nun, meint Rykower, mit ein bisschen mehr Chuzpe. Vom israelischen Mindset lernen. Mit Investoren sprechen, auf Venture-Kapital-Geber zugehen. Und keine Angst vor Fehlern haben. Deutsche Investoren und Großunternehmen – auch sie spüren den digitalen Wandel und seine disruptiven Folgen – sind offen für Ideenschmieden, was nicht zuletzt deren Engagement und Präsenz in Israel belege. Warum sollte das nicht auch in Deutschland funktionieren? „Erfolgt eine Veränderung der Einstellung, kann es in ein bis zwei Generationen so weit sein“, prognostiziert Rykower.
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